Über
Café lit

Café lit mag
Möglichkeitssinn.

Café lit wurde im Frühjahr 2023 von Astrid Rudle, Roman Schmitz und Insa Wilke erfunden. Die Lebens- und Arbeitswege der Geschäftsführerin der österreichischen Monsterfreunde, des Dramaturgen und der Literaturkritikerin haben sich durch die Freundschaft zu Roger Willemsen und das Projekt der Darmstädter Gespräche gekreuzt.

Entwickelt wurde Café lit durch seine Crew, die sich im Laufe der folgenden Wochen zusammenfand und sich bis zum Jahresende hemmungslos der gemeinsamen Wunscherfüllung hingab. In den guten Leuten der Alten Feuerwache Mannheim haben wir wiederum die weltbesten Verbündeten für die tatsächliche Umsetzung von Café lit gefunden.

Wir alle haben uns in unseren unterschiedlichen Arbeitsbereichen danach gesehnt, uns nur von der Frage: „Wie machen wir es?“ leiten zu lassen und nicht länger ausgebremst zu werden von Zögerlichkeit und Kulturpessimismus. Ja: Wir wollen was mit Café lit! Und wir wollen uns und unser Publikum erfüllen mit diesem Wollen und Café lit gemeinsam eine Gestalt geben, die sich entwickeln darf.

Produziert haben wir dafür die Plattform cafelit.de, die wachsen und ein lebendiger Kosmos werden soll, der dem Lesen und seinen Leuten gewidmet ist. Das Startsignal geben zwei Sendungen, die Teil dieser Plattform sind. Wir haben sie im Januar 2024 in der Alten Feuerwache in Mannheim produziert und im März über Youtube gesendet.

DEFINI
TIONS
BOXEN
Warum mag Café lit Möglichkeitssinn?
„Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muß es auch Möglichkeitssinn geben“. So heißt das vierte Kapitel in Robert Musils Roman „Mann ohne Eigenschaften“. Wir glauben das auch, und Café lit ist Ausdruck dieses Möglichkeitssinns. Im Sinne Musils: „Es ist die Wirklichkeit, welche die Möglichkeiten weckt, und nichts wäre so verkehrt, wie das zu leugnen. Trotzdem werden es in der Summe oder im Durchschnitt immer die gleichen Möglichkeiten bleiben, die sich wiederholen, so lange bis ein Mensch kommt, dem eine wirkliche Sache nicht mehr bedeutet als eine gedachte.“ – Wir hatten den Eindruck, auch Literatursendungen könnten einen kleinen Schuss Möglichkeitssinn gut vertragen. Sozusagen über die rein wirklichkeitssinnmäßige Frage hinaus: Wer will das sehen?Dabei sieht Musil den Menschen mit Möglichkeitssinn gar nicht nur unkritisch: „Da seine Ideen, soweit sie nicht müßige Hirngespinste bedeuten, nichts als noch nicht geborene Wirklichkeit sind, hat natürlich auch er Wirklichkeitssinn; aber es ist ein Sinn für die mögliche Wirklichkeit und kommt viel langsamer ans Ziel als der den meisten Menschen eignende Sinn für ihre wirklichen Möglichkeiten.“ Nun halten wir uns bei Café lit nicht für anders als andere Menschen. Auch wir sind vom Wirklichkeitssinn stärker geprägt als vom Möglichkeitssinn. Aber wir wollten mal schauen, ob wir die mögliche Wirklichkeit aus der wirklichen Möglichkeit herauskitzeln können. Der Weg ist das Ziel.
Was ist ein Leseleben?
Ein Leseleben ist die Verbindung zu den Buchbezirken, in denen die Buchpersonen leben. Wir Leser*innen ermöglichen ihnen mit unserer Vorstellungskraft die Existenz. Die Buchpersonen wiederum beeinflussen unser Leben auch jenseits des Lesens mit ihren Geschichten. Ein Leseleben ist also das Leben vom Lesen her betrachtet. Und mehr als das: Von Leseleben, Buchpersonen und ihrer hingebungsvollen und auch existentiellen Beziehung miteinander erzählt der Schriftsteller Giwi Margwelaschwili in seinen Werken. Einer seiner unvergessenen Sätze: „Ein Text ist zwar ein Gefängnis, aber guck mal nach, wo es löchrig wird!“ Dazu muss man wissen, dass Margwelaschwili selbst den größten Teil seines Lebens in den geschlossenen Texten der nationalsozialistischen und dann der sowjetischen Diktatur verbringen musste. In die Philosophie und in die Phantasie zog er aus, um die Buchbezirke der Weltliteratur auf offene Stellen abzuklopfen und den Buchpersonen zur Seite zu springen. Kunigunde aus Friedrich Schillers Ballade „Der Handschuh“ überredet er zum Beispiel, die Liebe ihres Ritters nicht so riskant auf die Probe zu stellen. Oder er schickt einen Einsatztrupp aus, um das lyrische Ich vom „Gipfel der reinen Verweigerung“ zu retten: „Wir sind Alpinisten der Gedichtweltverwaltung und klettern in den Bergen des Herzens.“ Auf die Frage, ob man die offenen Stellen auch im Lebenstext finden könnte, antwortete Margwelaschwili einmal: „Gewiss, gewiss, wenn Sie das können. Im Leben ist es verdammt schwer. Da riskieren Sie Kopf und Kragen, denn Sie wissen nicht, wen Sie vor sich haben. In den Büchern wissen Sie es.“ Im Leseleben von Café lit versuchen wir, die Grenzen durchlässig werden zu lassen und einander zu vertrauen und also auch miteinander Momente des eigenen Leselebens zu teilen. Wir fassen dabei die Lesewelten sehr weit und beschränken sie nicht auf Buchbezirke. Vielleicht, weil wir glauben, dass für das Lesen etwas Ähnliches gilt wie für das Ich, um das es uns auch geht. Niemand kann es besser in so rätselhafte Worte fassen wie noch einmal Giwi Margwelaschwili: „Es ist so, dass Sie in Ihrem Bemühen, etwas zu tun, begrenzt sind. Die anthropologische Lebensweise ist eine polythematische. Darauf lasse ich nichts kommen. Aber das Bewusstsein ist egologisch. Und dieses Ich ist ein eigenwilliges Ding, das bis heute niemand richtig verstanden hat.“
Wieso will Café lit die Fehlerquote erhöhen?
Um uns Mut zu machen, haben wir in der Planungsphase von Café lit Gespräche gelesen, die Christoph Schlingensief mit verschiedenen Medien geführt hat. In einem Interview mit der Zeitschrift marie claire hat er 1997 einen zentralen Satz gesagt: „Wir müssen nicht funktionieren, wir müssen die Fehlerquote erhöhen.” Er hat uns damit aus der Seele gesprochen, weil es uns ja im gemeinsamen Arbeiten gerade darum ging, den Druck rauszunehmen, alles immer wissen und richtig machen zu müssen, um dem Versuch und der Wunschenergie freie Bahn zu lassen. Und: Wie sollen denn Gespräche möglich und sinnvoll sein, wenn man sich keine Blöße geben und keine Unsicherheit zeigen darf? Gerade, wenn es ums Lesen von Büchern geht. Also haben wir erleichtert mit Schlingensief gesagt: Wir dürfen die Fehlerquote erhöhen. Was nicht heißt, dass wir nicht gern klüger werden und auch Wissen verbreiten möchten. Aber dafür, miteinander wirklich zu denken, ist es vielleicht nötig, den abgesicherten Modus des Sprechens zu verlassen, der zum Beispiel im Journalismus, im Beruf und in der Politik notwendigerweise verlangt wird. Begeben wir uns also in das unsichere Gelände, das sich auftut, wenn man versucht, etwas von sich und seinen Fragen an die Welt und die Bücher zu zeigen, um anderen zu signalisieren: Du darfst das auch und niemand wird verurteilt, wenn mal Holzwege beschritten werden, zumal sie ja oft irgendwohin führen, wo man vorher noch nicht war. Übrigens ein anderer toller Satz von Christoph Schlingensief: “Alfred Edel hat es geschafft, eine Kupferkanne mit einem Blumenstrauß zu assoziieren. Wer das kann, der ist großzügig im Herzen. Einfach sagen zu können: Es geschieht gerade etwas. Es ist zwar nicht mein Ding, aber da ist irgendwas im Aufbruch, und es sind Risse zu spüren.” Yes!
Glaubenssätze
Café lit versteht Bücher als Teil des Lebens und der Gesellschaft. Die Themen der Menschen funken in die Buchwelt und die Buchwelt funkt zurück. Darum geht das Eine nicht ohne das Andere.

Café lit erzählt eher vom Lesen als von Büchern. Es geht um unterschiedliche Zugänge zu unterschiedlichen Texten und wie die klingen können. Dabei geht es nicht nur ums Lesen von Texten, sondern auch um den Versuch, sozialen und politischen Zusammenhänge zu lesen.

Café lit variiert Christoph Schlingensief: Wir dürfen die Fehlerquote erhöhen. Wer persönlich werden möchte, muss laut denken, sich verirren, nach Gedanken und Formulierungen suchen dürfen.

Café lit geht es um Bücher, die im Sinn bleiben und zu denken aufgeben.

Café lit hat ein Zuhause in der Alten Feuerwache in Mannheim gefunden. Von hier aus gehen wir in die Stadt und die Welt. Hierhin laden wir die Welt und die Mannheimer Menschen ein.

Café lit wünscht sich, unterschiedliche Räume zu entdecken und zu ermöglichen und viele, verschiedene Perspektiven kennenzulernen und sichtbar werden zu lassen.

Café lit träumt sich als Mobile, in dem die Sendung ein schwebendes Element unter anderen ist. Gemeinsam bilden alle Elemente zusammen ein Ganzes, das sich im Internet als Plattform manifestiert.

Café lit denkt sich offen und kooperativ.

Café lit entsteht durch Menschen, die ihre Sache ernst meinen, ohne Expertentum raushängen zu lassen und andere ausschließen zu wollen. Gesprochen wird immer entlang des Alltagslebens. Aber man muss sich seiner Expertise und Erfahrung auch nicht schämen. Es geht um die Freude und den Wunsch, sie zu teilen.

Café lit nimmt sich so viel Zeit wie die Dinge jeweils brauchen. Wir müssen in kein Zeitraster passen.

Café lit mag Robert Musils Möglichkeitssinn und weiß, dass der ohne seine Partner, den Wirklichkeitssinn, sehr verloren wäre.

Café lit hat keine Zielgruppe und ist neugierig auf sein Publikum.

Café lit wünscht sich, sein Publikum angeregt zu entlassen, und weiß, dass die Voraussetzung dafür die Bereitschaft seines Publikums ist, sich auf Café lit einzulassen.

Schön wäre das: Wer „Café lit“ besucht hat, sieht hinterher mehr, lebt lieber und liest weiter.